In der diesjährigen Wintererprobung waren elf Fahrzeuge von Daimler Buses unterwegs, darunter Stadt-, Überland- und Reisebusse. Die Erprobung erstreckte sich mit einem Team aus insgesamt 36 Fachexperten über mehr als vier Kalenderwochen vor Ort in Lappland, Finnlands nördlichster Region. Zwischen 7.500 km und 8.500 km wurden je Fahrzeug zurückgelegt. Techniker Bernd Gutmann erklärt in einem kurzen Interview, wie man sich auf eine Wintererprobung vorbereitet und worauf man dabei achten soll.
Die Wintererprobung 2022 in Finnland.
Während der Wintererprobung werden Prüfungen unter extremen Bedingungen durchgeführt. Hier muss sich Fahrzeug und Technik bei tiefsten Temperaturen, anspruchsvollen Strecken und widrigen Reibverhältnissen (µ-low) unter Beweis stellen.
Herr Gutmann, die Wintererprobung ist für unsere Fahrzeuge ein wichtiger Meilenstein. Was muss man zu Beginn bei der Vorbereitung für die Wintererprobung beachten?
Mit der Vorbereitung und Planung beginnen wir bereits sechs Monate im Voraus. Zu Beginn werden in den einzelnen Fachteams, die Themen und entsprechenden Zeitbedarfe abgefragt. Schritt für Schritt werden dann die Bauzustände mit der Konstruktion und unseren Zulieferern abgestimmt. Im Hintergrund beginnen wir parallel mit der Organisation der Reise, wie z.B. der Buchung der Hotels, der Auswahl der Fahrstrecken sowie dem Einholen von Genehmigungen aufgrund von Ländervorschriften. Wegen Covid-19 mussten zudem die Pandemiebestimmungen der einzelnen Länder berücksichtigt werden. Kurz vor der Abfahrt nach Finnland wird es meist noch hektisch, weil die letzten Nachzügler-Bauteile und Softwarestände „traditionell“ erst kurz vor der Abfahrt geliefert werden.
Wie läuft dann die Wintererprobung ab?
Die Fahrzeuge starten in Deutschland und fahren über Dänemark und Schweden in Richtung Polarkreis nach Rovaniemi in Finnland. Dabei ist in jedem Fahrzeug ein Team, bestehend aus Ingenieur bzw. Techniker und Mechatroniker vertreten. Die Hin- und Rückfahrt dauert jeweils vier Tage. Hier legen wir in jede Richtung fast 3.000 km zurück. Die Zeit der Anfahrt in den hohen Norden wird bereits für erste Messungen genutzt.
Was wird bei einer Wintererprobung genau geprüft?
Die technischen Haupttreiber für eine Wintererprobung sind in erster Linie die Kälteerprobung der verschiedenen Systeme und die Tauglichkeit der Fahrzeuge auf Niederreibwert unter winterlichen Verhältnissen. Sämtliche Fahrzeugsysteme, wie z.B. Fahrwerk, Motor und Getriebe verhalten sich bei starker Kälte von bis zu -35°C anders als bei typischen mitteleuropäischen Bedingungen von 10-20°C. Gummilager, Stoßdämpfer, aber auch alle Fluide, wie Öle haben bei großer Kälte veränderte Eigenschaften und können das Fahrzeugverhalten (z.B. Fahr-, Schalt- und Startverhalten) daher maßgeblich beeinflussen. Unsere Themen vor Ort sind sehr vielfältig - von Funktionsprüfungen der Systeme, Bauteile und Softwarestände über dynamische Fahrmanöver bis hin zur aktiven Fehlersimulation.
Warum findet die Erprobung in Finnland statt?
Zusammen mit den Kollegen von Truck und Sonderfahrzeugen (Unimog und Econic) nutzen wir gemeinsam die Einrichtungen und die Teststrecke am Polarkreis in Rovaniemi, der Hauptstadt Lapplands. Neben dem wirtschaftlichen Vorteil der gemeinsamen Nutzung findet auch ein technischer Erfahrungsaustausch zwischen den unterschiedlichen Organisations-Einheiten statt.
Was war bei der Wintererprobung dieses Jahr besonders?
Ein besonderes Augenmerk wurde in 2022 auf das Thema Reisen unter Pandemie-Bedingungen gelegt. So wurde dieses Jahr auf die Nutzung von Fähren und Flügen weitestgehend verzichtet, um das Ansteckungsrisiko bei der An- und Rückreise auf ein mögliches Minimum zu reduzieren. Dadurch wurden die Tagesetappen und Stationen neu organisiert. Als maßgeblicher Baustein in dem gesamten Hygiene-Konzept für die Wintererprobung wurden alle unsere Busse mit Aktivfiltern mit antiviralen Funktionsschichten für den Innenraum ausgestattet. Auch die sonstigen Hygiene-Maßnahmen wie Desinfektionsmittelspender, Masken und Arbeitsplätze mit Mindestabstand waren in allen Bussen zu finden. Um das Ansteckungsrisiko während der Erprobung gering zu halten, wurden ausreichend Masken und Schnelltests von der Firma zur Verfügung gestellt. Zudem hat sich jeder Teilnehmer freiwillig dazu verpflichtet die Kontakte außerhalb der Gruppe so gering wie möglich zu halten.
Bei der diesjährigen Wintererprobung wurden auch bereits die Fahrzeuge der Modellpflege ComfortClass und TopClass geprüft, deren Premiere im Herbst bevorsteht. Können Sie hier verraten, was bei den Fahrzeugen getestet wurde?
Einige Themen und Bauteile, die in die Setra Modellpflege der ComfortClass und TopClass einfließen, sind schon länger in der Entwicklung und haben hier schon mehrere Versuchserprobungen hinter sich: Von den ersten Voruntersuchungen, über verschiedene Reifegrade und Softwarestände bis hin zur Serienfreigabe. Die ersten Versuche wurden in bestehenden, eher unscheinbaren Fahrzeugen integriert. Mit zeitlicher Annäherung an den Produktionsstart und zunehmendem Reifegrad wurden komplette Fahrzeuge aufgebaut. Diese mussten dann ihre Fähigkeiten im Gesamtpaket unter Beweis stellen. Während der diesjährigen Wintererprobung dann selbstverständlich getarnt. Zudem waren dieses Jahr unter anderem Themen aus Antriebsstrang mit Motor und Getriebe, Bremssysteme mit EBS und ESC, die Assistenzsysteme und das Gesamtfahrzeug mit Außenanbauteilen dabei.